Immer wieder begegnet mir im Rahmen von Problemhundberatung und Anti-Jagd-Training die Aussage: „Mein Hütehund jagt… aber Hütehunde jagen doch gar nicht“.
Leider tun sie das doch! Und zwar nicht nur, wenn sie rasse-untypisches Verhalten zeigen, sondern auch ganz rassetypisch und bei ihrer Arbeit am Vieh! Denn Hüteverhalten ist grob gesagt nichts anderes, als Jagdverhalten ohne Totbiss.
Wenn man sich die Jagdverhaltenskette genauer anschaut, wird man schnell feststellen, dass ein Hütehund eigentlich sogar ein ziemlich guter Jäger ist. Zunächst begibt der Hütehund sich auf die Suche nach Schafen – dies erfolgt in der Regel durch optische Orientierung. Sobald der Hütehund die Schafe sieht, folgt das Fixieren (Verharren – Anschleichen – Verharren). Dieses Bild eines Border Collies, der sich „eine Etage tiefer gelegt“ anpirscht, kennt fast jeder. Im Idealfall treibt der Hütehund nun das Vieh durch Fixieren und langsames vorwärts gehen im gemäßigten Tempo zu seinem Hundeführer.
Je nachdem welchem Typ Hütehund derjenige angehört, wird er u. U. auch mehr oder weniger die Idee im Kopf haben, in die Fessel zu zwicken, um das Vieh in die gewünschte Richtung zu treiben. Lediglich das Töten und Wegtragen der Beute sollte der Hütehund seinem Hundeführer überlassen.
Da Hütehunde eher in die Kategorie „Sichtjäger“ gehören, werden die meisten Hütehunde zu Beginn ihrer Jagdkarriere in der Regel nicht auf Spurensuche gehen. Durch zufällige Begegnungen mit flüchtendem Wild lernen nicht wenige Hütehunde allerdings, dass es sich auch durchaus lohnen kann, geruchlich auf die Suche danach zu gehen. Und schwupps – schon hat man einen Hütehund, der Spuren sucht, verfolgt und Wild hetzt. Wie gut der Hund in diesen Situationen dann ansprechbar/abrufbar ist, hängt stark vom Individuum und seinem Trainingsstand ab.
Desweiteren kommt es in der Entwicklung eines Hütehundes oft schon relativ früh zu dem Punkt, wo der junge Hund feststellt, dass es sich für ihn extrem gut anfühlt, bewegte Dinge (Autos, Radfahrer, Jogger, andere Hunde, etc.) anzuglotzen. Solange es nur beim Glotzen bleibt, fällt vielen Hundehaltern gar nicht unbedingt auf, dass ihr Hund gerade evtl. ein problematisches Verhalten entwickelt. In dem Moment, wo der Hund dann das erste Mal wie wild in die Leine springt oder (unangeleint) einem bewegten Objekt hinterher rennt, wird dem Hundehalter dann oft klar, dass es an der Zeit ist, einzugreifen. Dieses Verhalten wird dann oft als Aggression oder Jagdverhalten beschrieben, dabei handelt es sich auch hier um (fehlgerichtetes) Hüteverhalten.
Muss man das jetzt als rassespezifisch akzeptieren? NEIN!
Denn selbst ein am Vieh arbeitender Hütehund muss lernen, was man hüten kann/darf und was nicht. Ebenso, wie ein Jagdhund lernen muss, wann er seinen jagdlichen Job erledigen soll und wann nicht. Und hierbei hilft ein ggf. leicht abgewandeltes Anti-Jagd-Training ausgezeichnet.
Lina Engelken – Dipl. Juristin – lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihren 4 Hunden (Aussie, 2 Border Collies und Papillon) in Bremen. Sie arbeitet mit den Border Collies und dem Aussie am Vieh und betreibt mit ihrem Papillon aktiv Hundesport.
Sie ist Hundeerzieherin & Verhaltensberaterin IHK|BHV und betreibt seit 2009 eine eigene Hundeschule und gibt bundesweit Seminare zu verschiedenen Themen.
Kontaktdaten: Lina Engelken
Tel. 0177-82 944 19
lina@6-bein-training.de www.6-bein-training.de
Fotos: Uwe Klemmer
Du möchtest mehr zum Jagdverhalten und den Besonderheiten der Rassegruppen wissen? Du bekommst alles geballt in unserer Theorie von Modul 1 oder auch einzelne Vorträge hier: