Ist von dem Einfluss körperlicher Erkrankungen auf das Verhalten die Rede, denkt man schnell an schwerwiegende Verhaltensprobleme oder Verhaltensstörungen.
Doch auch ein normales (wenngleich in privater Hand meist unerwünschtes) Verhalten – das Jagdverhalten- wird wesentlich durch den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand unseres Vierbeiners beeinflusst.
Diese Beeinflussung kann dabei in beide Richtungen geschehen: während einige Erkrankungen zu einem verminderten Jagdverhalten führen, lösen andere Erkrankungen vermehrtes Jagdverhalten aus. Der Zusammenhang zwischen körperlicher Gesundheit, Jagdverhalten und Training des Hundes ist dabei komplex, sodass in vielen Fällen die gleiche Erkrankung sowohl zu einem verminderten als auch zu einem vermehrten Auftreten des Jagdverhaltens führen kann.
Reduziertes Jagdverhalten
In erster Linie führt eine Vielzahl von körperlichen Erkrankungen zu einem reduzierten Jagdverhalten.
Die häufigste Ursache bilden Schmerzen. Dabei können diese Schmerzen sowohl den Bewegungsapparat betreffen als auch den Magen-Darm-Trakt oder jegliche andere Organe. Da davon ausgegangen werden kann, dass Schmerzen beim Hund seltener diagnostiziert werden als sie auftreten, sollte hier bei plötzlich vermindertem Jagdverhalten ein besonderer Fokus liegen. Zu beachten ist, dass insbesondere Hunde, die überwiegend an der Schleppleine laufen und gegebenenfalls mit Schwung in das Ende der Leine hineinlaufen, regelmäßig hinsichtlich möglicher Probleme im Bewegungsapparat kontrolliert werden sollten.
Neben Schmerzen kann auch eine schlechte Kondition zu reduzierterem Jagdverhalten führen. Je nach Ausprägung sind hier in der Regel die kräftezehrenden Elemente „Ausschau halten“ und „Hetzen“ der Jagdverhaltenskette betroffen. Diese schlechte Kondition kann wiederum die unterschiedlichsten Ursachen haben. Sowohl Herz- und Lungenerkrankungen als auch hormonelle Erkrankungen wie die Schilddrüsenunterfunktion, das Cushing-Syndrom oder Diabetes mellitus können zu einer Leistungsinsuffizienz führen. Infektionserkrankungen und Blutarmut zählen ebenfalls zu häufigen Auslösern und sollten ursächlich weiter abgeklärt werden.
Rasseveranlagung und Lernerfahrungen führen dazu, dass einige Hunde verstärkt auf Sichtreize reagieren, während andere Hunde sich vor allem für Geruch interessieren. Lässt die Sehleistung nach, z. B. durch eine Linsentrübung oder eine Netzhautablösung, kann dies dazu führen, dass beim Vierbeiner deutlich seltener Jagdverhalten ausgelöst wird. Ein verminderter Geruchssinn kann unter anderem bei einer Infektion der oberen Atemwege auftreten. Lösen wiederum Geräusche Jagdverhalten aus, wie auf dem Wasser landende Enten oder krähende Fasane, ist bei nachlassender Hörleistung, z. B. altersbedingt oder durch eine Ohrenentzündung, auch hier mit vermindertem Jagdverhalten zu rechnen.
Neben körperlichen Erkrankungen spielt auch der psychische Zustand des Hundes eine wichtige Rolle. Angstverhalten ist ein starker Hemmer des Jagdverhaltens. Leiden Hunde also z. B. unter einer Furcht vor Gewitter, ist es wahrscheinlich, dass sie während des Unwetters kein oder ein deutlich reduziertes Jagdverhalten zeigen. Dies bedingt aber auch, dass (Tierschutz-)Hunde, die zunächst unter Angst oder Unsicherheit im neuen Zuhause litten, mit zunehmender Sicherheit plötzlich Jagdverhalten zeigen können, das zuvor gehemmt war.
Nicht zuletzt berichten viele Hundehalter, dass ihr an Demenz erkrankter Vierbeiner deutlich weniger Jagdverhalten zeigt. Da erkrankte Patienten häufig bereits ein hohes Alter aufweisen, könnten hier außerdem nachlassende Sinnesleistungen oder Schmerzen eine Rolle spielen.
Vermehrtes Jagdverhalten
Tritt unter einer Erkrankung vermehrtes Jagdverhalten auf, handelt es sich hier in der Regel um „Pseudojagdverhalten“. Beim Pseudojagdverhalten wird Stress mit Elementen des Jagdverhaltens kompensiert. Dieser Stress kann sowohl durch körperliche als auch durch psychische Ursachen bedingt sein.
Zu den häufigsten körperlichen Stressoren zählen auch hier die Schmerzen. Zu den häufigsten psychischen Stressoren zählt die Furcht vor bestimmten Reizen, wie Geräuschen, Menschen oder anderen Hunden.
Nicht unterschätzt werden sollte zudem, dass eine allgemein herabgesetzt Reizschwelle zu schnellerem und früherem Auslösen von Jagdverhalten führen kann. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil aller Erkrankungen die Reizschwelle des Hundes herabsetzt. Besonders häufig ist ursächlich unter anderem Juckreiz (z. B. durch Allergien) zu beobachten. Eine vermehrte Aktivität des Hundes sollte nicht dazu verleiten, Schmerzen grundsätzlich auszuschließen. Die während des Jagdverhaltens ausgeschütteten Hormone und Botenstoffe wirken als „körpereigene Schmerzmittel“, sodass zahlreiche Hunde trotz vielfältiger Probleme im Bewegungsapparat während des Jagens dennoch eine beeindruckende Leistung abrufen können.
Elemente aus dem Jagdverhalten können außerdem als abnorm-repetitive Verhaltensweise (ARV, umgangssprachlich „Stereotypie“) auftreten. In erster Linie betroffen sind hier die Bereiche „Fixieren“ und „Hetzen“ (lokomotorische ARV: Jagen von Schatten oder Lichtreflexen) sowie „Packen“ (halluzinatorische ARV: Fliegen schnappen). Gekennzeichnet ist das Verhalten in diesem Fall dadurch, dass es unangemessen wiederholt auftritt und in seiner Ausführung extrem gleichförmig ist.
Schlechtere Kontrollierbarkeit des Jagdverhaltens
Verschiedene körperliche Erkrankungen können außerdem dazu führen, dass die bisher im Training eingesetzte Belohnung für den Hund keine (ausreichende) Belohnung mehr darstellt. Dies führt dazu, dass das Ausführen der Signale nicht mehr (ausreichend) verstärkt wird. Abhängig vom Trainingsstand des Hundes führt das dazu, dass die Signale nach kürzerer oder längerer Zeit zunehmend unzuverlässiger bis gar nicht mehr ausgeführt werden. Während das eigentliche Jagdverhalten also unverändert auftritt, ist die Kontrolle des Verhaltens durch trainierte Signale stark herabgesetzt.
Wurde der Hund bisher durch das Hetzen eines Fellspielszeugs für den Rückruf belohnt, können Schmerzen im Bewegungsapparat das Hetzen plötzlich unattraktiv werden lassen. Der Rückruf wird zunehmend schlechter befolgt. Leidet der Hund hingegen unter einer Magenschleimhautentzündung, wird er möglicherweise das Schlecken an der Leberwursttube weniger belohnend empfinden.
Jenseits der Belohnung ist es außerdem möglich, dass die Ausführung des Signals selbst unangenehm oder sogar schmerzhaft ist. So wird der Hund für die Ausführung des Signals bestraft, auch wenn es dem Halter möglicherweise nicht bewusst ist. In der Konsequenz wird das Verhalten seltener gezeigt. Auch das führt zu einer schlechteren Kontrollierbarkeit des Jagdverhaltens. Hat sich ein Hund bisher an Wild gut stoppen lassen, indem er sich auf einen Pfiff hin abgesetzt hat, wird er dies deutlich weniger zuverlässig ausführen, wenn das Setzen schmerzhaft ist.
Fazit
Jagdverhalten kann nicht abgestellt werden, es kann lediglich durch Training von Signalen und alternativen Verhaltensweisen kontrollierbar gemacht werden. Lässt das Jagdverhalten eines Hundes sehr plötzlich nach, muss daher der körperliche und psychische Zustand des Hundes kritisch überprüft werden.
Wie auch bei anderen Trainingsfragestellungen und in der Verhaltenstherapie sollte beim Antijagd-Training der gesundheitliche Zustand des Hundes vor Trainingsbeginn überprüft werden und während des Trainings laufend im Auge behalten werden. Spätestens jedoch, wenn das Training keinen zufriedenstellenden Fortschritt aufweist, müssen Erkrankungen als Ursache ausgeschlossen werden.